陈宇东吧 关注:9贴子:769

Hermann Hesse Der Steppenwolf

只看楼主收藏回复

Dieses Buch enthält die uns geblichenen Aufzeichnungen jenes Mannes,
welchen wir mit einem Ausdruck, den er selbst mehrmals gebrauchte, den
«Steppenwolf» nannten. Ob sein Manuskript eines einführenden Vorwortes
bedürfe, sei dahingestellt; mir jedenfalls ist es ein Bedürfnis, den Blättern des
Steppenwolfes einige beizufügen, auf denen ich versuche, meine Erinnerung an
ihn aufzuzeichnen. Es ist nur wenig, was ich über ihn weiß, und namentlich ist
seine ganze Vergangenheit und Herkunft mir unbekannt geblieben. Doch habe
ich von seiner Persönlichkeit einen starken und, wie ich trotz allem sagen muß,
sympathischen Eindruck behalten.
•Der Steppenwolf war ein Mann von annähernd fünfzig Jahren, der vor einigen
Jahren eines Tages im Hause meiner Tante vorsprach und nach einem möblierten
Zimmer suchte. Er mietete die Mansarde oben im Dachstock und die kleine
Schlafkammer daneben, kam nach einigen Tagen mit zwei Koffer n und einer
großen Bücherkiste wieder und hat neun oder zehn Monate bei uns gewohnt. Er


1楼2014-06-15 13:45回复
    Er
    lebte sehr still und für sich, und wenn nicht die nachbarliche Lage unsrer Schlaf
    räume manche zufällige Begegnung auf Treppe und Korridor herbeigeführt hätte,
    wären wir wohl überhaupt nicht miteinander bekannt geworden, denn gesellig
    war dieser Mann nicht, er war in einem hohen, von mir bisher bei niemandem
    beobachteten Grade ungesellig, er war wirklich, wie er sich zuweilen nannte, ein
    Steppenwolf, ein fremdes, wildes und auch scheues, sogar sehr scheues Wesen
    aus einer anderen Welt als der meinigen. In wie tiefe Vereinsamung er sich auf
    Grund seiner Anlage und seines Schicksals hineingelebt hatte und wie bewußt er
    diese Vereinsamung als sein Schicksal erkannte, dies erfuhr ich allerdings erst
    aus den von ihm hier zurückgelassenen Aufzeichnungen; doch habe ich ihn
    immerhin schon vorher durch manche kleine Begegnungen und Gespräche
    einigermaßen kennengelernt und fand das Bild, das ich aus seinen


    2楼2014-06-15 13:46
    回复
      Aufzeichnungen von ihm gewann, im Grunde übereinstimmend mit dem freilich
      blasseren und lückenhafteren, wie es sich mir aus unsrer persönlichen
      Bekanntschaft ergeben haue.
      Zufällig war ich in dem Augenblick zugegen, wo der Steppenwolf zum
      erstenmal unser Haus betrat und bei meiner Tante sich einmietete. Er kam in der
      Mittagszeit, die Teller standen noch auf dem Tisch, und ich hatte noch eine halbe
      Stunde Freizeit, ehe ich in mein Bureau gehen mußte. Ich habe den sonderbaren
      und sehr zwiespältigen Eindruck nicht vergessen, den er mir beim ersten
      Begegnen machte. Er kam durch die Glastür, wo er vorher die Glocke gezogen
      hatte, herein, und die Tante fragte ihn im halbdunkeln Flur, was er wünsche. Er
      aber, der Steppenwolf, hatte seinen scharfen kurzhaarigen Kopf witternd in die
      Höhe gereckt, schnupperte mit der nervösen Nase um sich her und sagte, noch
      ehe er Antwort gab oder seinen Namen nannte: «Oh, hier riecht es gut.» Er
      lächelte dazu, und meine gute Tante lächelte auch, ich aber fand diese
      Begrüßungsworte eher komisch und hatte etwas gegen ihn.


      3楼2014-06-15 13:47
      回复
        «Nun ja», sagte er, «ich komme wegen des Zimmers, das Sie zu vermieten
        haben.»
        Erst als wir alle drei die Treppe zum Dachboden hinaufstiegen, konnte ich den
        Mann genauer ansehen. Er war nicht sehr groß, hatte aber den Gang und die
        Kopfhaltung von großgewachsenen Menschen, er trug einen modernen
        bequemen Wintermantel und war im übrigen anständig, aber unsorgfältig
        gekleidet, glatt rasiert und mit ganz kurzem Kopfhaar, das hier und dort ein
        wenig grau flimmerte. Sein Gang gefiel mir anfangs gar nicht, er hatte etwas
        Mühsames und Unentschlossenes, das nicht zu dem scharfen, heftigen Profil
        und auch nicht zum Ton und Temperament seiner Rede paßte. Erst später
        merkte und erfuhr ich, daß er krank war und daß das Gehen ihm Mühe machte.
        Mit einem eigentümlichen Lächeln, das mir damals ebenfalls unangenehm war,
        betrachtete er die Treppe, die Wände und Fenster und die alten hohen Schränke
        im Treppenhaus, dies alles schien ihm zu gefallen und schien ihm doch zugleich
        irgendwie lächerlich. Überhaupt machte d er ganze Mann den Eindruck, als
        komme er aus einer fremden Welt, etwa aus überseeischen Ländern, zu uns und
        finde hier alles zwar hübsch, aber ein wenig komisch. Er war, wie ich nicht


        4楼2014-06-15 13:48
        回复
          anders sagen kann, höflich, ja freundlich, er war auch mit dem Haus, dem
          Zimmer, dem Preis für Miete und Frühstück und allem sofort und ohne
          Einwände einverstanden, und dennoch war um den ganzen Mann herum eine
          fremde und, wie mir scheinen wollte, ungute oder feindliche Atmosphäre. Er
          mietete das Zimmer, mietete noch die Schla fkammer zu, ließ sich über Heizung,
          Wasser, Bedienung und Hausordnung unterrichten, hörte alles aufmerksam und
          freundlich an, war mit allem einverstanden, bot auch sogleich eine
          Vorauszahlung auf die Miete an, und doch schien er bei alledem nicht recht
          dabei zu sein, schien sich selber in seinem Tun komisch zu finden und nicht
          ernst zu nehmen, so, als sei es ihm seltsam und neu, ein Zimmer zu mieten und
          mit Leuten Deutsch zu sprechen, während er eigentlich und im Innern mit ganz
          anderen Sachen beschäftigt wäre. So etwa war mein Eindruck, und er wäre kein
          guter gewesen, wenn er nicht durch allerlei kleine Züge durchkreuzt und
          korrigiert worden wäre. Vor allem war es das Gesicht des Mannes, das mir von


          5楼2014-06-15 13:48
          回复
            Anfang an gefiel; trotz jenem Ausdruck von Fremdheit gefie l es mir, es war ein
            vielleicht etwas eigenartiges und auch trauriges Gesicht, aber ein waches, sehr
            gedankenvolles, durchgearbeitetes und vergeistigtes. Und dann kam, um mich
            versöhnlicher zu stimmen, dazu, daß seine Art von Höflichkeit und
            Freundlichkeit , obwohl sie ihm etwas Mühe zu machen schien, doch ganz ohne
            Hochmut war — im Gegenteil, es war darin etwas beinah Rührendes, etwas wie
            Flehendes, wofür ich erst später die Erklärung fand, das mich aber sofort ein
            wenig für ihn einnahm.
            Noch ehe die Besichtigung der beiden Räume und die ändern Verhandlungen
            beendet waren, war meine Mittagszeit abgelaufen, und ich mußte in mein
            Geschäft gehen. Ich empfahl mich und überließ ihn der Tante. Als ich am Abend
            wiederkam, erzählte sie mir, der Fremde habe gemietet und werde dieser Tage
            einziehen, er habe nur darum gebeten, seine Ankunft nicht polizeilich zu melden,
            da ihm, einem kränklichen Mann, diese Formalitäten und das Herumstehen in
            Polizeischreibstuben und so weiter unerträglich seien. Ich e rinnere mich noch
            genau daran, wie das mich damals stutzig machte und wie ich meine Tante davor
            warnte, auf diese Bedingung einzugehen. Gerade zu dem Unvertrauten und
            Fremden, das der Mann an sich hatte, schien mir diese Scheu vor der Polizei


            6楼2014-06-15 13:49
            回复
              allzu gut zu passen, um nicht als verdächtig aufzufallen. Ich legte meiner Tante
              dar, daß sie auf dies ohnehin etwas eigentümliche Ansinnen, dessen Erfüllung
              unter Umständen recht widerliche Folgen für sie haben könne, einem völlig
              Fremden gegenüber unter keinen Umständen eingehen dürfe. Aber da stellte sich
              heraus, daß die Tante ihm die Erfüllung seines Wunsches schon zugesagt hatte,
              und daß sie überhaupt sich von dem fremden Menschen schon hatte einfangen
              und bezaubern lassen; denn sie hat niemals Mieter aufgenommen, zu denen sie
              nicht in irgendein menschliches, freundliches und tantenhaftes oder vielmehr
              mütterliches Verhältnis treten konnte, was denn auch von manchen früheren
              Mietern reichlich ausgenützt worden ist. Und in den ersten 'Wochen blieb es
              denn auch so, daß ich an dem neuen Mieter mancherlei auszusetzen hatte,
              während meine Tante ihn jedesmal mit Wärme in Schutz nahm.


              7楼2014-06-15 13:50
              回复
                Da diese Sache mit dem Unterlassen der polizeilichen Meldung mir nicht gefiel,
                wollte ich wenigstens erfahren, was die Tante über den Fremden, über seine
                Herkunft und Absichten wisse. Und da wußte sie schon dies und jenes, obwohl er
                nach meinem Weggang um Mittag nur noch ganz kurz dageblieben war. Er hatte
                ihr gesagt, er gedenke sich einige Monate in unsrer Stadt aufzuhalten, die
                Bibliotheken z u benützen und die Altertümer der Stadt anzusehen. Eigentlich
                paßte es der Tante nicht, daß er nur für so kurze Zeit mieten wollte, aber er hatte
                sie offenbar schon für sich gewonnen, trotz seinem etwas sonderbaren Auftreten.
                Kurz, die Zimmer waren vermietet, und meine Einwände kamen zu spät.
                «Warum hat er wohl das gesagt, daß es hier so gut rieche?» fragte ich.
                Da sagte meine Tante, welche manchmal recht gute Ahnungen hat: «Das weiß
                ich ganz genau. Es riecht hier bei uns nach Sauberkeit und Ordnung und nach
                einem freundlichen und anständigen Leben, und das hat ihm gefallen. Er sieht
                aus, wie wenn er daran nicht mehr gewöhnt wäre und es entbehrt hätte.»
                Nun ja, dachte ich, meinetwegen. «Aber», sagte ich, «wenn er an ein
                ordentliches und anständiges Leben nicht gewöhnt ist, wie soll dann das werden?
                Was willst du machen, wenn er unreinlich ist und alles verdreckt oder wenn er zu
                allen Nachtstunden besoffen heimkommt?»
                «Das werden wir ja sehen», sagte sie und lachte, und ich ließ es gut sein.
                Und in der Tat war en meine Befürchtungen unbegründet. Der Mieter, obwohl


                8楼2014-06-15 13:50
                回复
                  er keineswegs ein ordentliches und vernünftiges Leben führte, hat uns nicht
                  belästigt noch geschädigt, wir denken noch heute gerne an ihn. Im Innern aber, in
                  der Seele, hat dieser Mann uns beide, die Tante und mich, doch sehr viel gestört
                  und belästigt, und offen gesagt, bin ich noch lange nicht mit ihm fertig. Ich
                  träume nachts manchmal von ihm und fühle mich durch ihn, durch die bloße
                  Existenz eines solchen Wesens, im Grunde gestört und beunruhigt, obwohl er
                  mir geradezu lieb geworden ist.
                  Zwei Tage später brachte ein Fuhrmann die Sachen des Fremden, der Harry
                  Haller hieß. Ein sehr schöner Lederkoffer machte mir einen guten Eindruck, und
                  ein großer flacher Kabinenkoffer schien auf frühere weite Reisen zu deuten,
                  wenigstens war er beklebt mit den vergilbten Firmenzetteln von Hotels und
                  Transportgesellschaften verschiedener, auch überseeischer Länder.
                  Dann erschien er selbst, und es begann die Zeit, in der ich diesen sonderbaren
                  Mann allmählich kennenlernte. Anfangs tat ich von meiner Seite nichts dazu.
                  Obwohl ich mich für Haller von der ersten Minute an, in der ich ihn sah,


                  9楼2014-06-15 13:51
                  回复
                    Obwohl ich mich für Haller von der ersten Minute an, in der ich ihn sah,
                    interessierte, tat ich in den ersten paar Wochen doch keinen Schritt, um ihn
                    anzutreffen oder ins Gespräch mit ihm zu kommen. Dagegen habe ich
                    allerdings, dies muß ich gestehen, schon von allem Anfang an den Mann ein
                    wenig beobachtet, auch zuweilen während seiner Abwesenheit sein Zimmer
                    betreten und überhaupt aus Neugierde ein klein wenig Spionage getrieben.
                    Ober das Äußere des Steppenwolfes habe ich einige Angaben schon gemacht.
                    Er machte durchaus und gleich beim ersten Anblick den Eindruck eines
                    bedeutenden, eines seltenen und ungewöhnlich begabten Menschen, sein Gesicht
                    war voll Geist, und das außerordentlich zarte und bewegliche Spie l seiner Züge
                    spiegelte ein interessantes, höchst bewegtes, ungemein zartes und sensibles
                    Seelenleben. Wenn man mit ihm sprach und er, was nicht immer der Fall war,
                    die Grenzen des Konventionellen überschritt und aus seiner Fremdheit heraus
                    persönliche, eigene Worte sagte, dann mußte unsereiner sich ihm ohne weiteres
                    unterordnen, er hatte mehr gedacht als andre Menschen und hatte in geistigen
                    Angelegenheiten jene beinah kühle Sachlichkeit, jenes sichere Gedachthaben und
                    Wissen, wie es nur wahrhaft geistige Menschen haben, welchen jeder Ehrgeiz
                    fehlt, welche niemals zu glänzen oder den ändern zu überreden oder recht zu


                    10楼2014-06-15 13:51
                    回复
                      behalten wünschen.
                      Eines solchen Ausspruches, welcher aber nicht einmal ein Ausspruch war,
                      sondern lediglich in einem Blick bestand, erinnere ich mich aus der letzten Zeit
                      seines Hierseins. Da hatte ein berühmter Geschichtsphilosoph und Kulturkritiker,
                      ein Mann von europäischem Namen, einen Vortrag in der Aula angekündigt, und
                      es war mir gelungen, den Steppenwolf, der erst gar keine Lust dazu hatte, zum
                      Besuch des Vertrags zu überreden. Wir gingen zusammen hin und saßen im
                      Hörsaal nebeneinander. Als der Redner seine Kanzel bestieg und seine
                      Ansprache begann, enttäuschte er manche Zuhörer, welche eine Art von
                      Propheten in ihm vermutet hatten, durch die etwas geschniegelte und eitle Art
                      seines Auftretens. Als er nun zu reden begann und zum Beginn den Zuhörern
                      einige Schmeicheleien sagte und für ihr zahlreiches Erscheinen dankte, da warf
                      mir der Steppenwolf einen ganz kurzen Blick zu, einen Blick der Kritik über
                      diese Worte und über die ganze Person des Redners, oh, einen unvergeßlichen


                      11楼2014-06-15 13:52
                      回复
                        und furchtbaren Blick, über dessen Bedeutung man ein ganzes Buch schreiben
                        könnte! Der Blick kritisierte nicht bloß jenen Redner und machte den berühmten
                        Mann durch seine zwingende, obwohl sanfte Ironie zunichte, das war das
                        Wenigste daran. Der Blick war viel eher traurig als ironisch, er war sogar
                        abgründig und hoffnungslos traurig; eine stille, gewissermaßen sichere,
                        gewissermaßen schon Gewohnheit und Form gewordene V erzweiflung war der
                        Inhalt dieses Blickes. Er durchleuchtete mit seiner verzweifelten Helligkeit nicht
                        bloß die Person des eitlen Redners, ironisierte und erledigte die Situation des
                        Augenblicks, die Erwartung und Stimmung des Publikums, den etwas
                        anmaßenden Titel der angekündigten Ansprache — nein, der Blick des
                        Steppenwolfes durchdrang unsre ganze Zeit, das ganze betriebsame Getue, die
                        ganze Streberei, die ganze Eitelkeit, das ganze oberflächliche Spiel einer
                        eingebildeten, seichten Geistigkeit — ach, und leider ging der Blick noch tiefer,
                        ging noch viel weiter als bloß auf Mängel und Hoffnungslosigkeiten unsrer Zeit,


                        12楼2014-06-15 13:52
                        回复
                          unsrer Geistigkeit, unsrer Kultur. Er ging bis ins Herz alles Menschentums, er
                          sprach beredt in einer einzigen Sekunde den ganzen Zweifel ei nes Denkers, eines
                          vielleicht Wissenden aus an der Würde, am Sinn des Menschenlebens überhaupt.
                          Dieser Blick sagte: «Schau solche Affen sind wir! Schau, so ist der Mensch!»


                          13楼2014-06-15 13:53
                          回复
                            und alle Berühmtheit, alle Gescheitheit, alle Errungenschaften des Geistes, alle
                            Anläufe zu Erhabenheit, Größe und Dauer im Menschlichen fielen zusammen
                            und waren ein Affenspiel!
                            Ich habe damit weit vorgegriffen und, eigentlich gegen meinen Plan und
                            Willen, im Grunde schon das Wesentliche über Haller gesagt, während es
                            ursprünglich meine Absicht war, sein Bild nur allmählich, im Erzählen meines
                            stufenweisen Bekanntwerdens mit ihm, zu enthüllen.
                            Nachdem ich nun denn so vorgegriffen habe, erübrigt es sich, noch weiter über
                            die rätselhafte «Fremdheit» Hallers zu sprechen und im einzelnen zu berichten,
                            wie ich allmählich die Gründe und Bedeutungen dieser Fremdheit, dieser
                            außerordentlichen und furchtbaren Vereinsamung ahnte und erkannte. Es ist
                            besser so, denn ich möchte meine eigene Person möglichst im Hintergrunde
                            lassen. Ich will nicht meine Bekenntnisse vortragen oder Novellen erzählen oder
                            Psychologie treiben, sondern lediglich als Augenzeuge etwas zum Bild des
                            eigentümlichen Mannes beitragen, der diese Steppenwolfmanuskripte
                            hinterlassen hat.
                            Schon beim allerersten Anblick, als er durch die Glastür der Tante hereintrat,
                            den Kopf so vogelartig reckte und den guten Geruch des Hauses rühmte, war mir
                            irgendwie das Besondere an diesem Manne aufgefallen, und meine erste naive
                            Reaktion darauf war Widerwille gewesen. Ich spürte (und meine Tante, die im
                            Gegensatz zu mir ja ganz und gar kein intellektueller Mensch ist, spürte ziemlich
                            genau dasselbe) — ich spürte, daß der Mann krank sei, auf irgendeine Art
                            geistes - oder gemüts- oder charakterkrank, und wehrte mich dagegen mit dem
                            Instinkt des Gesunden. Diese Abwehr wurde im Lauf der Zeit abgelöst durch
                            Sympathie, beruhend auf einem großen Mitleid mit diesem tief und dauernd
                            Leidenden, dessen Vereinsamung und inneres Sterben ich mit ansah. In dieser
                            Periode kam mir mehr und mehr zum Bewußtsein, daß die Krankheit dieses
                            Leidenden nicht auf irgendwelchen Mängeln seiner Natur beruhe, sondern im
                            Gegenteil nur auf dem nicht zur Harmonie gelangten großen Reichtum seiner
                            Gaben und Kräfte. Ich erkannte, daß Haller ein Genie des Leidens sei, daß er, im
                            Sinne mancher Aussprüche Nietzsches, in sich eine geniale, eine unbegrenzte,
                            furchtbare Leidensfähigkeit herangebildet habe. Zugleich erkannte ich, daß nicht


                            14楼2014-06-15 13:53
                            回复
                              Weltverachtung, sondern Selbstverachtung die Basis seines Pessimismus sei,
                              denn so schonungslos und vernichtend er von Institutionen oder Personen reden
                              konnte, nie schloß er sich aus, immer war er selbst der erste, gegen den er seine
                              Pfeile richtete, war er selbst der erste, den er haßte und verneinte . . .
                              Hier muß ich eine psychologische Anmerkung einfügen. Obgleich ich über das
                              Leben des Steppenwolfes sehr wenig weiß, habe ich doch allen Grund zu
                              vermuten, daß er von liebevollen, aber strengen und sehr frommen Eltern und
                              Lehrern in jenem Sinne erzogen wurde, der das «Brechen des Willens» zur
                              Grundlage der Erziehung macht. Dieses Vernichten der Persönlichkeit und
                              Brechen des Willens nun war bei diesem Schüler nicht gelungen, dazu war er
                              viel zu stark und hart, viel zu stolz und geistig. Statt seine Persönlichkeit zu
                              vernichten, war es nur gelungen, ihn sich selbst hassen zu lehren. Gegen sich
                              selber, gegen dies unschuldige und edle Objekt richtete er nun zeitlebens die
                              ganze Genialität seiner Phantasie, die ganze Stärke seines Denkvermögens. Denn


                              15楼2014-06-15 13:54
                              回复